Friedensnobelpreis 1969: International Labour Organization

Friedensnobelpreis 1969: International Labour Organization
Friedensnobelpreis 1969: International Labour Organization
 
50 Jahre nach ihrer Gründung wurde die Internationale Arbeitsorganisation für ihre Aktivitäten zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse ausgezeichnet.
 
 
International Labour Organization (ILO), Gründung Paris 11. 4. 1919; autonome Organisation des Völkerbunds beziehungsweise Sonderorganisation der UN, 29. 10. 1919 Beginn der ersten Internationalen Arbeitskonferenz, 1920 Gründung des Internationalen Arbeitsamtes (IAA), 1944 Deklaration von Philadelphia, 1945/46 Anschluss an die Vereinten Nationen, 1960 Gründung des Internationalen Instituts für Arbeitsstudien.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
In der vor mehr als einem halben Jahrhundert von der UN-Vollversammlung beschlossenen »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« nehmen die grundlegenden Rechte, die das Arbeitsleben betreffen, breiten Raum ein: im Artikel 23 beispielsweise das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl und auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit oder im Artikel 24 der Anspruch auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und auf regelmäßigen, bezahlten Urlaub. Viele dieser Grundrechte wurden bereits nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zwischen Januar und April 1919 während der Friedensverhandlungen in Paris formuliert und in der Satzung der Internationalen Arbeitsorganisation festgelegt. Die Organisation, der heute mehr als 170 Staaten als Mitglieder angehören, ist eine der ältesten und bedeutendsten internationalen Vereinigungen. Sie war zunächst im Rahmen des Völkerbunds tätig und schloss sich dann nach der Gründung der Vereinten Nationen als erste UN-Sonderorganisation der Staatenverbindung an.
 
Zu den Konventionen der Gründungszeit, in denen beispielsweise das Recht auf Schwangerschaftsurlaub sowie das Verbot der Nachtarbeit für Jugendliche festgeschrieben wurde, sind inzwischen hunderte weiterer Konventionen und Empfehlungen gekommen. Die Internationale Arbeitsorganisation hat sich allerdings nicht nur die Aufgabe gestellt, international verbindliche Rechtsnormen festzulegen und darauf zu achten, dass sie weltweit auch respektiert werden. Ihre Arbeitsfelder sind wesentlich vielseitiger. Sie umfassen unter anderem die Förderung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb des Weltbeschäftigungsprogramms, Hilfe bei der Ausbildung qualifizierter Arbeitskräfte, besonders in den Entwicklungsländern, sowie die wissenschaftliche Untersuchung sämtlicher Aspekte des Arbeitsmarktes und -lebens.
 
Traditioneller Stammsitz der Organisation, die rund 40 Regionalbüros (auch in der früheren deutschen Bundeshauptstadt Bonn) unterhält, ist Genf. Dort tagt alljährlich die Internationale Arbeitskonferenz, gewissermaßen das Parlament der Organisation, das internationale Arbeitsnormen festlegt und beschließt. Die Konferenz wählt außerdem die Mitglieder des Verwaltungsrates, einer Art Regierung, die den Generaldirektor ernennt und über die Verwendung der Mittel entscheidet. Für die Durchführung der Beschlüsse ist das Internationale Arbeitsamt verantwortlich.
 
 Der runde Tisch der Arbeitswelt
 
Im Unterschied zu den anderen UN-Sonderorganisationen entsenden die Mitgliedsstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation nicht nur Regierungsvertreter als Repräsentanten, sondern auch Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Verwaltungsrat setzt sich beispielsweise aus 28 Regierungsvertretern, 14 Arbeitgebervertretern und 14 Arbeitnehmervertretern zusammen. In ihm treffen sich also die Repräsentanten der verschiedenen Gruppen wie an einem »runden Tisch« zur gemeinsamen Arbeit. Diese Zusammensetzung hat sich in der langen Geschichte der Internationalen Arbeitsorganisation bestens bewährt, denn sie trägt dazu bei, dass Interessenkonflikte innerhalb der Vereinigung sozusagen unter Kontrolle ausgetragen und damit erfolgreicher gelöst werden können.
 
Mitunter decken sich die Interessen der verschiedenen Gruppen sogar. Bei den Verhandlungen 1919 in Paris konnten sich die Staaten, Gewerkschaften und Unternehmerverbände in erstaunlich kurzer Zeit auf ein gemeinsames, weltweit gültiges Gesetzeswerk, die »Magna Charta der Arbeitswelt«, einigen. Die Regierungen der westlichen Staaten wollten nach den Erfahrungen der kommunistischen Revolution in Russland den sozialen Frieden durch Zugeständnisse an die Arbeiterschaft sichern; den Gewerkschaften war an sicheren Arbeitsplätzen ebenso gelegen wie an besseren Arbeitsbedingungen; die Unternehmer akzeptierten die neuen Normen, solange sie weltweit galten und dadurch nicht zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber der Konkurrenz führten.
 
 Vor alten und neuen Aufgaben
 
Als die Internationale Arbeitsorganisation 1919 durch den Versailler Vertrag ins Leben gerufen wurde, passte die Rollenverteilung zwischen den armen Entwicklungsländern (damals meist Kolonien) als Quellen billiger Rohstoffe und Arbeitskräfte auf der einen und den reichen Industrieländern auf der anderen Seite noch ins Bild einer heilen globalen Arbeitswelt. Dies hat sich freilich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert: Grundlage dafür ist vor allem die Deklaration von Philadelphia (1944), nach der die Organisation ihre Aufgabe weniger darin sieht, Voraussetzungen für die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb einzelner Staaten zu schaffen, sondern dafür zu sorgen, dass Arbeitsbedingungen und Lebensstandard weltweit zwischen allen Staaten vergleichbar sind und die Kluft zwischen Arm und Reich geschlossen wird.
 
Ein Blick in die Jahresberichte der Menschenrechtsorganisationen und statistischen Jahrbücher genügt jedoch, um zu erkennen, dass auch die alten Probleme noch keineswegs gelöst sind. Von der Gleichbehandlung der Geschlechter in der Arbeitswelt kann überhaupt keine Rede sein, auch in den westlichen Industrieländern, wo so genannte Frauenquoten nicht verhindern können, dass Frauen meist Arbeitsplätze mit schlechterer sozialer Absicherung und im Allgemeinen auch niedrigerer Bezahlung akzeptieren müssen. Ende der 1990er-Jahre lagen beispielsweise in Schweden die Gehälter von Frauen um etwa 15 Prozent und in Großbritannien um mehr als 30 Prozent unter denen von Männern in vergleichbaren Positionen.
 
Zwangsarbeit und sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse, die bereits in den ältesten Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation geächtet wurden, sind noch immer an der Tagsordnung, besonders bei Kindern. Schätzungsweise rund 300 Millionen Kinder unter 15 Jahren müssen regelmäßig unter oft katastrophalen Bedingungen arbeiten, hauptsächlich in Asien, Afrika und Lateinamerika, aber auch in den westlichen Industrieländern werden Kinder zu Hunderttausenden als billige Arbeitskräfte, zum Beispiel als Erntehelfer, ausgebeutet. Der Unfallschutz am Arbeitsplatz wird in vielen Ländern und Branchen wirtschaftlichen Interessen untergeordnet, entsprechend hoch ist die Zahl der Arbeitsunfälle, vor allem im Bergbau oder in der Fischerei. Trotzdem finden sich selbst für solche unfallträchtigen Arbeitsplätze Bewerber, denn bei Arbeitslosenquoten, die in manchen Ländern die 30-Prozent-Marke überschreiten, dürfen die Arbeitnehmer nicht wählerisch sein. Die Probleme, um deren Lösung sich die Internationale Arbeitsorganisation bemüht, sind also in ihrer langen Geschichte nicht gerade kleiner geworden.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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